Grundsätzliches zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosigkeit hat in Luxemburg ein nie gekanntes Ausmaß angenommen; jeder zehnte ist auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, immer mehr Menschen bangen um ihre Zukunft! Und wie reagieren die verantwortlichen Politiker? – Sie beklagen allesamt diese Entwicklung und … gehen zur Tagesordnung über. Alternativen bleiben auf der Strecke, werden nicht einmal grundlegend diskutiert. Es wird höchste Zeit, dies zu ändern!

Xavier Bettel hat Recht, wenn er im Vorwahlkampf sagt, dass es in Luxemburg wichtigere Probleme als die Geheimdienstaffäre gibt; er nennt Wohnungsnot, Rekordarbeitslosigkeit und Bildung. Dabei sieht die DP darüber hinweg, dass ihre eigene kommunale Wohnungspolitik das Fehlen von erschwinglichem Wohnraum wesentlich mitgeprägt hat und die Jahre, während denen Anne Brasseur Unterrichtsministerin war, die Bildungspolitik rückschrittlich war.

In der Tat sind in Luxemburg Wohnungsnot und Massenarbeitslosigkeit reale Probleme. Wenn – gemessen an der Wichtigkeit der Probleme – die Geheimdienstaffäre die Demission der CSV-LSAP-Regierung gerechtfertigt hätte, so hätte erst Recht die hohe Arbeitslosigkeit und das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum zu einem Rücktritt Anlass geben müssen. Es genügt auch nicht „im Namen des Volkes“ den Fokus auf „die wahren Probleme“ zu richten – wie die DP dies tut. Nein: es müssen hier und jetzt Alternativen und Lösungsvorschläge auf den Tisch! Aber das fällt allen traditionellen Parteien äußerst schwer …

Wachstum erzeugen um Arbeitsplätze zu schaffen?

CSV, DP und LSAP sehen im gesteigerten Wachstum, der Zunahme des BIP, eine absolute Voraussetzung zur Schaffung von Arbeitsplätzen. „Wachstum erzeugen um Arbeitsplätze zu schaffen“ (1), fordert LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider; CSV und DP stimmen ihm zu. Für die LSAP ist „Wachstum erzeugen“ gar „neben der Staatsreform unser Hauptziel, unsere Leitlinie für die kommenden fünf Jahre.“ Außerdem muss „unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger“ werden, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und um neue zu schaffen. Auch hier sind sich CSV, DP und LSAP einig. Für die DP beispielsweise „müssen (wir) verhindern, dass der Standort Luxemburg resp. unsere Betriebe weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen und somit weitere Arbeitsplätze verloren gehen.“ Und Etienne Schneider lässt dem Premier gleich ein ganzes Bündel von bisher geheim gehaltenen Vorschlägen (Transparenz lässt grüßen!) „zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ zukommen.

Für CSV, LSAP und DP gelten Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit nicht nur als Wundermittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, sondern sie entscheiden über Wohl und Weh des ganzen Landes und seiner BürgerInnen(2). Kurioserweise wird die Frage, ob Wachstum überhaupt Arbeitsplätze schaffen kann, überhaupt nicht gestellt! Dabei ist gerade die Frage, wie viel Wirtschaftswachstum notwendig wäre, um genügend Arbeitsplätze zu schaffen, doch ein zentraler Punkt …

8_StundenEs sei dahin gestellt ob ein Wirtschaftswachstum von 4% genügt oder ob vielmehr 5-6% notwendig wären, um die Absicherung eines auf Wachstum orientierten Modells zu gewährleisten. Fakt ist jedenfalls, dass ein solches Wirtschaftswachstum derzeit – und ebenfalls in den nächsten Jahren – weder zu realisieren, noch zu begrüßen wäre.

Von 1990 bis 2005 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate in Luxemburg fast 5,5 % pro Jahr (3). Dennoch trug sie nicht dazu bei um genügend Arbeitsplätze zu schaffen. In demselben Zeitraum stieg die Zahl der Arbeitslosen an, von 2.500 auf 9.000, plus 3.800 in einer Beschäftigungsmaßnahme. Dies ist zurückzuführen auf die Produktivitätssteigerung, die parallel zum Wirtschaftswachstum einen Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge hat.

Wie viel Wirtschaftswachstum tatsächlich notwendig wäre, um die Produktivitätssteigerung derart zu kompensieren, dass keine weiteren Arbeitsplätze mehr abgebaut werden, ließe sich berechnen. Darauf verzichten die neoliberalen Wachstumsfanatiker jedoch, da sie wissen, dass das Ergebnis – nur um die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten – bei mehr als 4-5% liegen würde. Und das zusätzliche Wachstum, das notwendig wäre um mit dem Schaffen von Arbeitsplätze die bestehende Arbeitslosigkeit abzubauen, liegt jenseits aller Wirtschaftsträume liegen!

Das stagnierende Wirtschaftswachstum der letzten 5 Jahren hat die Arbeitslosigkeit hierzulande auf eine offizielle Rekordzahl von derzeit mehr als 21.600 Arbeitslosen katapultiert (wovon 17.000 auf Arbeitssuche und 4.600 in einer zeitweiligen Beschäftigungsmaßnahme – dabei sind die Grenzgänger, die in Luxemburg arbeitslos wurden, noch nicht einmal berücksichtigt!).

Die Vorstellung, mittels Erzeugung von genügend Wachstum ausreichende Arbeitsplätze schaffen zu können ist eine ungeheure Illusion, der wir uns nicht länger hingeben sollen!

1_Mai_SamstagsEin derartiges Wirtschaftswachstum ist nicht nur illusorisch, sondern zudem überhaupt nicht erstrebenswert! Denn hierbei würde unser Ökosystem definitiv zugrunde gerichtet. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird es nicht auf die Höhe des Wachstums ankommen, sondern auf die Qualität der Entwicklung: Produkte sollen nicht so schnell wie möglich ersetzt werden nur um das BIP zu fördern, sondern müssen nachhaltig gestaltet werden. Vordergründig muss die Frage beantwortet werden, was geschaffen werden soll, um jedem ein „gutes Leben“ zu ermöglichen – ohne dass dies mit Raubbau an Mensch und Natur einhergeht. Genau diese wesentliche Frage umkurven die traditionellen Parteien und setzen blind auf Wirtschaftswachstum… Sind sie sich nicht bewusst, dass „die wahren Probleme“ – inklusive der Arbeitslosigkeit – auf diese Weise nicht zu lösen sind, oder entspricht es womöglich nicht ihren Anliegen?

Selbstverständlich können in zahlreichen Bereichen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, ohne dass dies auf Kosten der künftigen Generationen geht. Erneuerbare Energien und Umweltschutz beispielsweise, sind sehr arbeitsintensive Gebiete.

Auch der öffentliche Dienst hat die (soziale) Pflicht zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen,  auch im Bereich der weniger qualifizierten Arbeit. Nicht zuletzt müsste die Solidarwirtschaft ausgebaut werden.

Letztendlich ändert all dies nichts an der Tatsache, dass durch Wachstum allein (auch intelligenteres Wachstum) nicht genug Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, um die bestehende Massenarbeitslosigkeit zu beheben.

Die Reise nach Jerusalem (4) …

Eine weitere Ursache der Arbeitslosigkeit sehen die traditionellen Parteien, ebenso wie die Grünen, in der schlechten Ausbildung und Orientierung der Jugendlichen. „Jeder ist sich einig, dass die mangelhafte Ausbildung, Orientierung und Aktivierung von Arbeitslosen Ursachen dieser Misere (auf dem Arbeitsmarkt) sind“, sagt Xavier Bettel. „Für junge Menschen wird es heute immer schwieriger, eine Arbeit zu finden. Die Ursache dafür ist eine Berufsausbildung, die der komplexen Realität auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gerecht wird“, heißt es bei den Grünen. Ähnlich klingt es auch bei der CSV, die die Verantwortung für die Bildungsmisere der letzten 30 Jahre auf die LSAP schieben will!

Selbstverständlich braucht jeder Mensch eine gute Ausbildung – nicht nur berufsorientiert, sondern als Mensch und Bürger/in überhaupt! Sicherlich ist die Ausbildung reformbedürftig. Doch wenn für 10 Menschen nur 9 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wird immer einer auf der Strecke bleiben! Nun mag man diesem Einen klar machen, er habe nicht das richtige Profil, oder er habe sich nicht genug angestrengt oder er sei nicht flexibel genug: An der Tatsache, dass Arbeitsplätze fehlen ändert dies rein gar nichts. Gesteigerte Konkurrenz auf dem Arbeits„markt“ schafft ebenso wenig Arbeitsplätze, wie die neuerlichen Rufe nach „Grenzgänger raus“!

Es bedarf grundsätzlich anderer Wege um die Arbeitslosigkeit wirklich zu bekämpfen und genügend Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Diskussion über die Auswege aus der Arbeitslosigkeit ist fast so alt wie die Lohnarbeit selbst. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts riefen Produktivitätssteigerungen und Wirtschaftskrisen eine Massenarbeitslosigkeit hervor, gegen die sich Betroffene und ihre Gewerkschaften vehement zur Wehr setzten. Die Verteilung der vorhandenen Arbeit auf alle, das heißt die Arbeitszeit soweit zu kürzen, dass für jeden Arbeit vorhanden ist, galt dabei als zentrales Mittel.

Wessen Interessen stehen im Vordergrund?

Auf zur 30-StundenwocheOb die Verkürzung der Arbeitszeit ein probates Mittel ist, war – und bleibt – stark umstritten. Diesbezüglich folgt die Ansicht deutlich einer Klassenlinie: die Arbeitszeitverkürzung war immer nur eine Forderung der Arbeiterschaft und ihrer Vertreter, während Befürworter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und ihre Lobbyisten in ihr den Untergang der Wirtschaft sehen. Historisch unbestreitbar ist allerdings die Tatsache, dass im letzten Jahrhundert – vor allem in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts – die Kürzung der Arbeitszeit das einzig wirksame Mittel war, um die vorhandene Arbeit gerecht und besser zu verteilen. Nach dem zweiten Weltkrieg spielten der Aufschwung und das Wirtschaftswachstum die entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung der Vollbeschäftigung. Wer heutzutage von einer Wiederholung derart hoher Wachstumsraten träumt vergisst, dass zuvor mit dem zweiten Weltkrieg massiv Produktionskapazitäten und Arbeiterrechte zerstört und Arbeitskräfte vernichtet worden waren.

Ein wesentliches Hindernis bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aber ist nicht allein der fortbestehende Glaube an illusionäre Wirtschaftswachstumsraten, sondern die Verfügungsgewalt: Wer verfügt und entscheidet über Wirtschaft, Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit? Diese liegt eindeutig beim Patronat und der Lobby der Wirtschaftsbosse! Arbeitszeitverkürzung konnte immer nur gegen deren Willen – also den der Herrschenden – durchgesetzt werden. Als sie 1918 nachgaben, geschah dies bloß um, mittels Zugeständnissen an die Arbeiterschaft, insbesondere Arbeitszeitverkürzung, Umsturz und Revolution verhindern zu können.

Auch gegenwärtig wird die Forderung nach Aufteilung der vorhandenen Arbeit, das Verlangen einer Arbeitszeitverkürzung, als umstürzlerisch angesehen. Dennoch ist es das einzig probate Mittel, das effektiv die zunehmende Massenarbeitsloslosigkeit bremsen und abbauen kann. Bloße Lippenbekenntnisse zur Arbeitszeitverkürzung, wie sie verschiedentlich in Sonntagsreden von Sozialdemokraten zu hören sind, ändern nichts. Vielmehr kommt es darauf an, sich konsequent und tatkräftig auf die Seite der Lohnabhängigen zu stellen!

Außerparlamentarische Mobilisierungen

Affiche_IG_MetallAußer der Arbeitszeitverkürzung gibt es zusätzliche dringende Maßnahmen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, so beispielsweise das Verhindern von Entlassungen. Hier geht es vor allem darum, Betrieben die Gewinne machen, Entlassungen zu verbieten und Personalvertretern Einblick in die Betriebskonten zu geben, damit rechtzeitig reagiert werden kann, beispielsweise wenn nicht mehr genügend in den Betrieb investiert wird. Hierzu ist derselbe Mut und derselbe Standpunkt erfordert, wie zur Durchsetzung Arbeitszeitverkürzung. Und daran fehlt es den CSV, DP und LSAP. Die Grünen ihrerseits bereiten sich darauf vor, in derselben Liga mitzuspielen. Es ist kaum anzunehmen, dass die hiesigen Grünen beim Mitregieren grundsätzlich anders handeln würden als ihre deutschen Kollegen/innen, die beim Einführen von Hartz IV zu Mittätern bei der Umverteilung zugunsten der Herrschenden und auf Kosten der Schaffenden wurden.

Wer jedoch hofft, auf rein parlamentarischer Ebene Alternativen in die Wege leiten zu können, verkennt sowohl die Geschichte als die Realität. Alternativen zur Arbeitslosigkeit, und somit die Perspektive auf Arbeitszeitverkürzung, wird es nur dann geben, wenn massiv dafür mobilisiert wird. Das dazu notwendige Kräfteverhältnis wird nicht im Parlament, sondern in der Gesellschaft geschaffen. Im Parlament können außerparlamentarische Mobilisierungen und Kräfteverhältnisse sich höchstens widerspiegeln. Die Voraussetzungen zur Durchsetzung aber werden in den Betrieben und Gewerkschaften, in der außerparlamentarischen Auseinandersetzung geschaffen!

Weil „echte“ linke Aktivisten sich dessen bewusst sind, handeln sie, statt abzuwarten.

Justin TURPEL, 5. September 2013

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(1) Alle Zitate stammen aus den offiziellen Stellungnahmen der jeweiligen Parteien.

(2) Altbundeskanzler Helmut Schmidt prägte im Jahre 1974 den Ausspruch, dem heute noch alle Sozialdemokraten nachhängen: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“ In Wirklichkeit wurden in den 70-iger Jahren „die Investitionen von heute zu den Rationalisierungen von morgen und den Arbeitslosen von übermorgen“. Und heute werden die Gewinne zu den Spekulationen und Pleiten, die Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit stetig vergrößern …

(3) von 1990 bis 1995 betrug die durchschnittliche Wachstumsrate in Luxemburg noch 6,8 %, von 1995 bis 2000 6,1 % und von 2000 bis 2005 „nur“ noch rd. 3,6 %.

(4) Die Reise nach Jerusalem oder Reise nach Rom ist ein Gesellschaftsspiel mit beliebig vielen Mitspielern. In der Hauptsache wird es als Kinderspiel betrieben. Man ordnet Stühle im Kreis an, und zwar einen Stuhl weniger als Teilnehmer. Diese stellen sich ebenfalls im Kreis auf. Sobald der Spielleiter die Musik ertönen lässt, müssen sich alle im Kreis um die Stühle bewegen. Der Spielleiter stoppt die Musik zu einem willkürlichen Zeitpunkt; dann muss jeder Teilnehmer versuchen, sich möglichst schnell auf einen freien Stuhl zu setzen; es bleibt am Schluss immer ein Teilnehmer stehen und scheidet aus. – Wikipedia.de am 2. September 2013 [http://de.wikipedia.org/wiki/Reise_nach_Jerusalem]

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