TTIP und öffentlicher Dienst: Chronik einer feindlichen Übernahme …

Nachrichten von morgen …

Esch-Sauer, März 2022. Nachdem die SEO, die zu 40,3% der RWE gehört, bereits 2001 im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes die Stromproduktionsanalage in Esch-Sauer übernommen hatte, ist jetzt die Trinkwasserversorgung – die bisher vom Gemeindesyndikat SEBES  gewährleistet wurde – in die Hand das transatlantischen Konsortium RWE/Gold-Water übergegangen.

 Berlin, Oktober 2024. Im Streit um die Lieferung von Hormonfleisch, mit Chlor desinfiziertem Geflügel und genmanipulierten Getreide in den Schulkantinen, Maison Relais, Spitälern und Altersheimen des Großherzogtums Luxemburg, bekam das amerikanische Unternehmen Mc-Food Recht vor dem Schiedsgericht ISDS; diese Produkte würden – im Gegensatz zu den Einwänden des Gemeindeverbandes Syvicol und des Staates Luxemburg – durchaus den seit 2020 geltenden transatlantischen Gesundheitsnormen entsprechen.

 Paris, Februar 2019. Auf Anfrage von Cola-Cola Enterprises (seit 1974 Teilhaber des Vertriebsgesellschaft von Rosport und seit letztem Jahr Teilhaber von Source Rosport), dem Mineralwasserhersteller Roxane, (dem größten Teilhaber der Eaux Minéraux de Beckerich SA) hat das Schiedsgericht ISDS den Staat Luxemburg sowie die Gemeinden Beckerich und Rosport zu hohen Strafen verurteilt, da diese die Rechte beider Gesellschaften hinsichtlich deren Zugangs zum Grundwasser eingeschränkt hatten.

 Sind dies Hirngespinste? – Leider nicht; all dies droht mit der Unterzeichnung der Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika (TTIP) respektive mit dem Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA), Wirklichkeit zu werden.

 Öffentliche Dienste ausgeschlossen? – Keineswegs!

Die Befürworter von TTIP heben immer wieder hervor, dass öffentliche Dienstleistungen nicht liberalisiert werden. Diesbezüglich legt das Verhandlungsmandat der EU in Artikel 20 fest: „Dienstleistungen gemäß Artikel I Absatz 3 des GATS-Abkommens, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden, sind von den Verhandlungen ausgeschlossen.“ (1) Wichtig wäre demnach zu wissen, um welche Dienstleistungen es sich dabei handelt? Dies wird im GATS-Abkommen im besagtem Artikel präzisiert: „der Begriff  „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbrachte Dienstleistung“ bedeutet jede Art von Dienstleistung, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird.“ (2). Daraus schlussfolgert Thomas Fritz (3): „Öffentliche Dienste sind insofern in keinster Weise von den TTIP-Verhandlungen ausgenommen, da in nahezu allen Bereichen der Daseinsvorsorge private Unternehmen auf den Markt getreten sind und somit Wettbewerbssituationen vorliegen, sei es bei Stadtwerken, Bahn, Post, Bildung, Gesundheit, der Kranken- oder Rentenversicherung. Zu den wenigen tatsächlich ausgenommenen hoheitlichen Bereichen dürften das staatliche Justizwesen oder die Tätigkeiten der Zentralbank zählen.“ (4) Das Ziel der EU-Kommission ist es Dienstleistungen „auf dem höchsten Liberalisierungsniveau“ zu binden. (1)

 Negativliste: „List it or lose it“

Bisher erfolgten die Liberalisierungsbestrebungen der EU und der Welthandelsorganisation über die sogenannte „Positivliste“: es werden nur diejenigen Dienstleistungsbereiche liberalisiert, die ausdrücklich aufgezählt werden. Im Februar 2014 einigte die Kommission sich mit den USA darauf, die Positivlisten, die noch beim Liberalisierungsmodus des GATS angewandt wurden, aufzugeben und durch das USA-Modell der Negativlisten zu ersetzen, das auch schon im CETA-Abkommen praktiziert wurde. Bei den Negativlisten gelten grundsätzlich alle Dienstleistungsbereiche als geöffnet, während Bereiche, die weiter geschützt werden sollen, einzeln aufzulisten sind (daher auch „list it or lose it“ genannt). (4)

Dies stellte eine ebenso spektakuläre wie weitreichende Wende im Schutz öffentlicher Dienstleistungen dar. Denn alle Sektoren die nicht aufgelistet werden, unterliegen dann der TTIP-Deregulierung. Traditionell wird dies in zwei Anhängen zum Abkommen geregelt: Anhang I erfasst die bereits bestehenden Regulierungsmaßnahmen; die hier gelisteten Maßnahmen dürfen nur „liberaler“ ausgestaltet werden und nicht weiter eingeschränkt werden. Konkret heißt dies, dass einmal getätigte Privatisierungen oder Teilprivatisierungen nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Anhang II hingegen befasst sich mit den Bereichen, die nicht zur Disposition stehen. „Es ist zu erwarten, dass die Kommission einiges daran setzen wird, die Liste von Anhang-II-Ausnahmen möglichst kurz zu halten. So hat sie bereits 2011 in einem „Reflexionspapier“ dargelegt, dass sogenannte Netzwerk-Industrien, dazu zählte sie Telekommunikation, Energieversorgung, Verkehr, Post und Umweltdienstleistungen, in ihren künftigen Freihandelsabkommen nicht mehr in den Genuss der traditionellen Schutzklausel kommen sollen. Genau in den Bereichen also, in denen Bürgerinitiativen derzeit Rekommunalisierungsinitiativen starten (vor allem Energie, Wasser, Abwasser, Verkehr), will sie die Liberalisierung in den Handelsverträgen unumkehrbar festschreiben.“ (4)

Neue Dienstleistungsbereiche, die es beim Aushandeln des Abkommens noch nicht gab und die sich folglich auch nicht auf der Negativliste befanden, gelten automatisch als liberalisiert.

 Transatlantischer Ausschreibungszwang

Des Weiteren kündigt das EU-Verhandlungsmandat „einen verbesserten beidseitigen Zugang zu den Beschaffungsmärkten auf allen Verwaltungsebenen (national, regional, lokal) und im Versorgungsbereich“ an (Art. 24). So sollen auf allen Ebenen ausländische Anbieter den lokalen Anbietern im öffentlichen Beschaffungswesen gleichgestellt werden.

 „Öffentliche Aufträge sind von enormer wirtschaftlicher Bedeutung“, schreibt Thomas Fritz, „und es ist deshalb wenig wunderlich, dass der uneingeschränkte Zugang zu diesen Aufträgen zu den überragenden Zielen der Konzerne gehört.“ (4) In der Auseinandersetzung um das jüngst beschlossene EU-Vergabepaket konnten soziale Bewegungen und Gewerkschaften Verbesserungen durchsetzen. So darf die öffentliche Hand Ausschreibungen an manche soziale und ökologische Kriterien koppeln, wie beispielsweise das Einhalten von Tarifverträgen oder Kriterien der Umweltverträglichkeit oder Nachhaltigkeit. Und auf Druck der europäischen Bürgerinitiative „Recht auf Wasser“ wurde der Wassersektor aus der Konzessionsrichtlinie ausgeklammert.  Mit dem TTIP könnten diese Fortschritte zunichte gemacht werden.

Setzt sich die Industrie durch, könnten folglich noch mehr Aufträge unter Ausschreibungszwang geraten. So engt der Ausschreibungszwang immer weiter die Möglichkeiten ein, staatliche und kommunale Aufträge an öffentliche, kommunale oder regional verankerte Unternehmen zu vergeben. „Stattdessen kommen durch die wettbewerblichen Vergabeverfahren immer mehr in- und ausländische Konzerne zum Zuge.“ (4) „Dienstleistungsfreiheit garantiert aber noch keine guten Dienstleistungen. Im Gegenteil: Gerade bei den gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, aber auch bei den Finanzdienstleistungen oder in der Mobilität könnte eine weitere Deregulierung zu einem noch härteren Wettbewerb zu Lasten nicht nur der Beschäftigten sondern auch der Qualität der Dienstleistungen führen.“ (5)

 Gemeinden nicht betroffen?

Wenn Innenminister Dan Kersch dennoch behauptet, TTIP betreffe nicht die Gemeinden (6), so hat er entweder das Verhandlungsmandat nicht gelesen oder hofft, dass die Gemeindeverantwortlichen und BürgerInnen dies nicht tun. Im Verhandlungsmandat wird nämlich nicht nur die Ausschreibungspflicht ausdrücklich auf die Gemeinden angewandt, sondern bereits Artikel 3 des Mandates betont, dass die das TTIP für „alle Regierungsebenen verbindlich“ sein wird, wobei „verbindlich“ als „zwingend anzuwenden“ zu verstehen ist.

Im Streitfall sollen Schiedsgerichte entscheiden und (hohe) Entschädigungen der Gemeinden und anderen öffentlichen Auftraggeber an die klagenden Konzerne festlegen. Die Demokratie wird so zugunsten der Macht der Konzerne außer Kraft gesetzt.

 Soziale Standards angleichen?

Das Verhandlungsmandat der EU unterstreicht mehrmals die Notwendigkeit höchste  Schutzstandards festzulegen. Gemeint ist damit jedoch weniger der Schutz von Umwelt, Konsumenten und Arbeitnehmern, sondern vor allen der Schutz von Investitionen. Im Artikel 22 des Verhandlungsmandates heißt es: „Bei den Verhandlungen im Bereich der Investitionen wird das Ziel darin bestehen, auf der Grundlage des höchsten Liberalisierungsniveaus und der höchsten Schutzstandards, die die beiden Vertragsparteien bis dato ausgehandelt haben, Bestimmungen über die Liberalisierung und den Schutz von Investitionen einschließlich in Bereichen  gemischter Zuständigkeit wie Portfolioverwaltung, Eigentums- und Enteignungsaspekte auszuhandeln.“ (1)

 Wasserversorgung ausgeschlossen?

In Bezug auf den öffentlichen Wassersektor gilt immer noch größte Unsicherheit. Zwar beteuert die EU-Kommission in einem PR-Papier: „Wasserversorgung ist und wird nicht Teil der TTIP-Verhandlungen sein.“(7) Doch im Mandat findet sich keine diesbezügliche Ausnahme, und über den Umgang mit der Abwasserbeseitigung und dem Gewässerschutz, die ebenfalls zum Aufgabenspektrum öffentlicher Unternehmen gehören, schweigt die Kommission. In ihrem Papier ist weiterhin zu lesen: „Die EU wird das Recht von Gemeinden, die Wasserversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anzubieten, nicht zur Verhandlung stellen. Wir haben dies in der Vergangenheit nicht getan und werden es auch in der Zukunft nicht tun.“ (7)

Hier aber unterschlägt die Kommission ihre Forderungen an Verhandlungspartner. So sickerten schon vor zehn Jahren Verhandlungsdokumente durch, in denen sie im Rahmen der Doha-Runde von 72 Staaten die Liberalisierung der Trinkwasserversorgung forderte. (4) Die Forderung der EU-Kommission, dass die Ausschreibungen sämtlicher kommunalen Trinkwasserversorger für europäische Anbieter zu öffnen seien, ist ein wichtiger Hebel für die schleichende Privatisierung von Versorgungsleistungen und die Ausbreitung öffentlich-privater Partnerschaften.

 „Zu Recht fürchten US-amerikanische Nichtregierungsorganisationen, dass die EU im TTIP entsprechende Liberalisierungsforderungen auch an die Adresse der USA richten wird, zumal die großen europäischen Wassermultis sich längst auf dem US-Markt tummeln. Die beiden französischen Konzerne Veolia Environnement und Suez Environnement sowie die britische Severn Trent gehören zu den fünf größten Wasserunternehmen der USA.“ (4) Und diese Gefahr ist noch lange nicht vom Tisch. Zwar konnte die Forderung der EU nach Öffnung der kommunalen Trinkwasserversorgung für europäische Anbieter im EU-Kanada Freihandelsabkommen im letzten Augenblick noch verhindert werden, dies jedoch nur durch den massiven Druck, der bezüglich des „Rechtes auf Wasser“ derzeit auf die Kommission ausgeübt wird. Aus TTIP ist die Wasserversorgung damit jedoch keineswegs raus.

 „Wirklich gute Freunde der Dienstleistungen“

TTIP, genauso wie CETA, ist, wie viele andere Handelsverträge auch, der Versuch den langjährigen Stillstand der Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO zur Liberalisierung der Weltwirtschaft zu umgehen. Parallel zu den Verhandlungen mit den USA und Kanada startete eine Gruppe von WTO-Mitgliedern, die sich selbst tatsächlich „Really Good Friends of Services“ nennt, 2012 Verhandlungen über ein multilaterales Dienstleistungsabkommen, das „Trade in Services Agreement“ TISA. An dieser Koalition der Willigen nehmen derzeit 23 Parteien teil, darunter neben EU und USA noch weitere Industrie- und einige Entwicklungsländer. Jedoch vor allem von TTIP versprechen sich die Unterhändler besonders weitreichende Marktöffnungen. Wie der Generaldirektor für Handel der EU-Kommission, Jean-Luc Demarty, betonte, sollen die TTIP-Verpflichtungen noch über TISA hinausgehen. „Die an TISA teilnehmenden Länder sind zu heterogen, um das Anspruchsniveau der TTIP zu erreichen.“ Dennoch sollte man den Stellenwert von TISA nicht unterschätzen: gerade die Parallelität der Verhandlungen verleiht EU und USA die Möglichkeit, ihre TTIP-Kompromisse anschließend auch gegenüber Dritten durchzusetzen. (4)

Es bleibt, dass TTIP, CETA, TISA, … nur verhindert werden, wenn der Widerstand von Bürgern, Gewerkschaften, Umweltverbänden und anderen Aktivisten nicht nachlässt.

Justin TURPEL, 25. September 2014

[Artikel aus Forum Nr. 344, Schwerpunktthema „Freihandelsabkommen“ – siehe Forum.lu]

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(1) www.ttip-leak.eu

(2) eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:21994A1223(16)&from=DE

(3) Thomas Fritz ist freier Autor in Berlin und hat u.a. im Auftrag von Gewerkschaften und Bürgerinitiativen Studien zu Freihandelsabkommen, zu TTIP und CETA, veröffentlicht; http://thomas-fritz.org/

(4) Thomas Fritz, „Geheimwaffe TTIP: Der Ausverkauf der öffentlichen Güter“ in „Blätter für deutsche und internationale Politik“, 6/2014, Seite 93-100

(5) Frank Bsirske: „Marktwirtschaftliche Liberalisierung versus sozialstaatliche Regulierung; Zu den Risiken und Chancen des TTIP aus der Sicht der Gewerkschaften“, in „Das Freihandelsabkommen mit den USA in der Kritik“, herausgegeben von Ska Keller.

(6) So Dan Kersch seiner Antwort vom 4. August 2014 auf einen Rekurs der Gemeinderäte von déi Lénk in der Stadt Luxemburg, Guy Foetz und David Wagner; siehe unter www.dei-lenk.lu/de/ttip-ville-de-luxembourg

(7) European Commission, „Wasserversorgung – kein Bestandteil der TTIP-Verhandlungen“, 20.12.2013; unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/december/tradoc_152029.pdf

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