Referat: Ist Europa auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit?

Referat am 16. Mai 2018 als Teil der Aufnahmeprüfung an der Uni Hamburg, Fachbereich Sozialökonomie. Die Vorgabe war ein Thema aus dem Bereich Sozialökonomie, das mindestens zwei Bereiche aus Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft betrifft und dessen Vortragen nicht länger als 15 Minuten dauert.

1. Einleitung

Mein Referat beschäftigt sich mit der Frage, ob Europa auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit ist? Einleitend möchte ich dazu die Frage, was Steuergerechtigkeit überhaupt ist an 4 Beispielen konkretisieren.

1) Erst einmal stellen wir fest: Jeder von uns zahlt Steuern; der eine mehr, der andere weniger. Die erste Frage ist demnach, ob solche Unterschiede beim Steuerzahlen gerecht sind?

2) Nehmen wir als zweites ein Beispiel von Steuern bei denen jeder das gleiche zahlt, die Verbrauchersteuern. Bei den Verbrauchersteuern, wie der Mehrwertsteuer oder der Mineralölsteuer, ist der Steuersatz den man zahlt für jeden derselbe, unabhängig vom Einkommen des Steuerzahlers. Die zweite Frage lautet: Sind dieselben Steuern für jeden gerechter als unterschiedliche Steuern?

3) Bei der Lohnsteuer, die uns vom Gehalt abgezogen wird, hingegen ist die Höhe der zu zahlenden Steuer abhängig von der Höhe des Einkommens; je höher der Lohn, umso höher ist der Steuersatz, der progressiv mit der Höhe des Einkommens zunimmt. Dies wird als Steuerprogression bezeichnet. Meist werden progressive Steuern als gerechter angesehen wie gleiche Steuern. Die 3. Frage ist, wieso werden progressive Steuern als gerechter angesehen?

4) Und wie steht es mit der Betriebssteuer? Die nominalen, theoretischen Sätze der Betriebssteuern sind von Land zu Land sehr verschieden. Und die realen Sätze, die wirklich gezahlt werden, sehen nochmals ganz anders aus. Verschiedene Leaks (Lecks, Informationen von Insidern die durchgesickert sind) haben gezeigt dass große multinationale Konzerne, wie Amazon, Google, Ikea, McDonalds …, fast überhaupt keine Steuern zahlen, oftmals weniger als 1%, manchmal nur 0,05% oder gar nichts! Da drängt sich die Frage auf: Ist das denn gerecht?

Diese Fragen zur Steuergerechtigkeit und die Frage ob Europa auf dem Weg zu Steuergerechtigkeit ist, wollen wir im Folgenden – entlang der geschichtlichen Evolution des Steuerzahlens – untersuchen.

2. Die geschichtliche Evolution des Steuerzahlens und der Steuergerechtigkeit

2.1. Steuern und Steuergerechtigkeit

Steuern gibt es schon seit mehr als 5.000 Jahren. Könige und Herrscher brauchten Geld für Befestigungen, Soldaten und Prunkbauten, aber auch für Straßen, Brücken und Kanalisation, die allen zur Verfügung standen. Dieses Geld zogen sie mittels Steuern ein. Bei den Steuern gab es die kuriosesten Sachen, wie Bartsteuer, Perückensteuer, Spatzensteuer oder Jungfernsteuer. Bei der Urform der Steuern, der Fronarbeit, wurden Steuern in Form von Arbeit abgeleistet.

Im Römischen Reich waren Kopfsteuer und Grundsteuer die zwei bedeutendsten Steuerarten. Bei der Kopfsteuer, die oft aus speziellen Anlässen eingezogen wurde, musste jeder dasselbe zahlen, egal wieviel er besaß. Viele Menschen aus den unteren Ständen konnten die geforderte Summe nicht aufbringen, während man mit derselben, für alle gleich hohen Kopfsteuer, nicht wirklich an das Geld der Reichen herankam. Seitdem werden gleiche Steuern für alle, unabhängig vom Einkommen und den Besitzverhältnissens, als ungerecht empfunden.

Die Basis des heutigen Steuersystems in Deutschland legte Johannes Miquel, als er 1891 in Preußen eine einheitliche Einkommenssteuer anstelle der Klassensteuer einführte. Mit dieser Steuer wurden unter anderem ein steuerfreies Existenzminimum und erstmals eine Steuerprogression eingeführt.

Mit der Frage von Recht und Gerechtigkeit wurde sich stark nach der französischen Revolution von 1789 befasst. Am 26. August 1789 stimmte die „Assemblée nationale“, französische Nationalversammlung, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu. In deren Artikel 13 heißt es: „Für den Unterhalt der öffentlichen Gewalt und für Verwaltungsaufgaben ist eine allgemeine Abgabe unerlässlich; sie muss auf alle Bürger, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten, gleichmäßig verteilt werden.“

Wir sehen: „für Unterhalt der öffentlichen Gewalt“ und „für Verwaltungsaufgaben“, war „eine allgemeine Abgabe“, eine Steuer also, „unerlässlich“, die „auf alle Bürger gleichmäßig verteilt“ werden soll und zwar „nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten.“ Dies sind die bis heute noch geltenden grundlegenden Prinzipien einer gerechten Besteuerung.

Das Geld, das ein Staat benötigt um seine Aufgaben zu erfüllen, zieht er durch Steuern ein. Auch der heutige Staat bezieht ein Einkommen aus Steuern, um im Wesentlichen 4 Aufgaben zu erfüllen; 1) Infrastrukturen, wie Straßen und Kommunikationsnetzen, Schulen und Kinderkrippen, zu schaffen, 2) soziale Dienstleistungen ermöglichen, 3) seine regulative Rolle zu spielen, zum Beispiel durch eine funktionierende Gesetzgebung und Justiz, und 4) um „redistributiv“ zu wirken, indem unterschiedliche Einkommen und Vermögen umverteilt werden.

Doch bereits 10 Jahre vor der französischen Revolution, im Jahre 1776, hat der Ökonom Adam Smith vier Grundsätze, die „tax cannons“, formuliert, wie Steuern gestaltet werden sollen, und zwar: gleichmäßig, im Verhältnis zum Einkommen; bestimmt, nicht willkürlich, bequem, nicht unnötig belastend und wirtschaftlich, mit so geringen Erhebungskosten wie möglich. Diese Grundsätze sind heute noch gültig. Doch werden sie auch so angewandt?

Kommen wir dazu kurz zurück zu unseren einleitenden Beispielen.

Verbrauchersteuern, bei denen bekanntlich jeder, unabhängig vom Einkommen, das gleiche zahlt, entsprechen nicht den Grundsätzen einer gerechten Steuer, so wie sie von Adam Smith und in Folge der französischen Revolution festgeschrieben wurden. Laut diesen Grundsätzen sind derartige Steuern, wo jeder grosso modo dasselbe zahlt, als ungerecht anzusehen.

Die Lohnsteuer ist eine progressiv ansteigende direkte Steuer, deren Höhe an das Einkommen des Steuerzahlers gebunden ist. Die Steuerprogression garantiert eine gewisse Gerechtigkeit, so wie sie in den Grundsätzen von Adam Smith enthalten ist: wer mehr verdient, zahlt verhältnismäßig mehr Steuern als jemand, der weniger Einkommen hat.

Doch insbesondere bei der Betriebssteuer, aber auch bei der Kapital- und der Vermögenssteuer, werden alle erläuterten Grundsätze von Gerechtigkeit über den Haufen geworfen.

2.2. Skandale um Betriebssteuern

Öffentlich wurde dies durch verschiedene Leaks, die darlegten, wie sowohl reiche Privatpersonen ihre Vermögen vor dem Fiskus verstecken, als auch mit welchen Methoden multinationale Gesellschaften ihre Steuerzahlungen reduzieren, d.h. gegen Null tendieren lassen.

Im April 2013 deckten die sogenannten Offshore-Leaks auf, wie große Banken – wie die Deutsche Bank, JPMorgan Chase, USB – Firmen und 130.000 Privatpersonen aus verschiedenen Ländern verhalfen ihr Einkommen in neun Steueroasen vor den Steuerbehörden ihrer Herkunftsländer zu verstecken. Zwei Jahre später deckten die SwissLeaks auf, wie die HSBC-Niederlassung in Genf 106.000 Kunden aus 203 Länder verhalf 100 Mia US-Dollar vor den Steuerbehörden zu verstecken.

Doch insbesondere die LuxLeaks konnten im November 2014 aufzeigen, welcher Mechanismen sich die größten multinationale Unternehmen der Welt, mit Hilfe großer Beraterfirmen, der sogenannten ‚Big Four‘, bedienen, um ihre Steuern soweit zu optimieren, dass sie, wie einleitend erwähnt, fast keine, oftmals überhaupt keine Steuern mehr zahlten.

Die LuxLeaks zeigten, wie unterschiedliche Steuergesetze verschiedener Staaten, gekoppelt mit Doppel(nicht)besteuerungsabkommen, zu einer äußerst aggressiven Steueroptimierung genutzt werden. Dabei werden Gewinne über konzerninterne Transfers und hybride Finanzierungsinstrumente von einem Land in das andere geschoben. Länderspezifische Patent- und Lizenzgebühren und andere Nischen werden genutzt, um massiv Steuern einzusparen. In Steuervorbescheiden (‚Tax ruling‘) sichern Steuerverwaltungen diese Steuersparmodelle verbindlich zu.

Allen Leaks gemeinsam ist, dass daran sowohl Whistleblower (also interne Informanten), als auch die Presse, vor allem das Internationale Konsortium für investigativen Journalismus (ICIJ), mit mehr als 200 Journalisten in 70 Ländern, beteiligt waren.

2.3. Maßnahmen der EU gegen aggressive Steueroptimierung

Um gegen die so aufgedeckte Steuerflucht und aggressive Steueroptimierung vorzugehen, hat die EU seitdem eine ganze Reihe von Initiative genommen, die im Folgenden kurz behandelt werden.

Doch bereits im Vorfeld von LuxLeaks hatte die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unterstützt von den G20, Maßnahmen in die Wege geleitet, um der aggressiven Steueroptimierung großer Konzerne entgegen zu treten. So wurde im Juli 2013 der BEPS-Aktionsplan durch die OECD veröffentlicht. BEPS steht für ‚Base Erosion and Profit Shifting‘, auf Deutsch etwa Kürzung der Besteuerungsgrundlage und Verlagerung von Gewinnen. Im BEPS-Aktionsplan werden 15 konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewinnkürzung und -verlagerung festgehalten.

Nach dem LuxLeaks-Skandal drängt die EU auf eine beschleunigte Umsetzung der Maßnahmen aus dem BEPS-Plan. Ich will die Initiativen der EU an vier Beispielen verdeutlichen.

1) An erster Stelle die Aufhebung des Bankgeheimnisses sowie der automatische standardisierte Austausch von Finanzinformationen zwischen Steuerverwaltungen der einzelnen Länder. Aber auch das Einrichten eines Registers der wirklichen Eigentümer von Firmen und Trusts geht in dieselbe Richtung.

2) Ein Multilaterales Abkommen wendet zentrale Empfehlungen des BEPS-Projektes als Mindeststandard in einem Mal bei mehr als 1.000 Doppelbesteuerungsabkommen an. Dazu gehört auch die Verpflichtung zu einer wirklichen wirtschaftlichen Aktivität für länderspezifische Niederlassung, um so die Praxis von Briefkastenfirmen einzudämmen. Diese Verpflichtung gehört allerdings nicht zu den obligatorischen Mindeststandards, so dass einige Staaten eine Ausnahmeregelung geltend gemacht haben.

3) Durch länderspezifische Berichte, dem ‚Country-by-Country-Reporting‘ (CbCR), sollen Konzerne in jedem Land, wo sie Tochtergesellschaften haben oder sonst wie aktiv sind, ihre Umsätze, Gewinne, Vermögenswerte, Lohnsumme, Anzahl der Vollzeitarbeitsplätze, … auflisten. Doch beim öffentlichen Zugang zu diesen Informationen, wie er vom Europaparlament und der EU-Kommission gefordert wird, legen sich verschiedene EU-Staaten quer.

4) Nicht zuletzt gibt es den Versuch europaweit eine gemeinsame, koordinierte und konsolidierte Bemessungsgrundlage der Betriebssteuer für Unternehmensgruppen allererst ab 750 Mio Euro Umsatz, die ‚Common Consolidated Corporate Tax Base‘ (CCCTB) einzuführen. Doch darüber gibt es heftigere Auseinandersetzungen zwischen einzelnen EU-Staaten, die weiterhin selbst bestimmen wollen, welche Steuernischen sie zulassen wollen, und welche nicht, so dass die Verwirklichung dieses Projektes stark in Frage gestellt ist.

Kontroversen gibt es auch bei der vor kurzem vor allem von Frankreich geforderten Einführung einer Steuer für Internetkonzerne, den sogenannten GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple und Konsorten). Diesem Vorschlag zufolge sollen Internetkonzerne nicht mehr auf dem schwierig zu ermittelnden Gewinn, sondern auf dem Umsatz, der eine klare, messbare Größe darstellt, besteuert werden.

Aber auch NGOs bringen sich verstärkt in Steuerfragen ein, werden durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung doch die bereits enormen sozialen Ungleichheiten weiterhin gefördert, während den Staaten dadurch riesigen Summen verloren gehen. NGOs fordern deshalb zwei zusätzliche Kriterien für Steuergerechtigkeit, und zwar 1) gleiche Besteuerung von Einkommen aus Löhnen und Kapital – dazu finden sie allerdings bisher wenig Echo bei den politisch Verantwortlichen; und 2) mehr Transparenz beim Steuerzahlen, und, in diesem Zusammenhang auch der Schutz von Whistleblowern – dabei finden sie teilweise Unterstützung bei OECD und EU.

Dem gegenüber stehen die betroffenen Konzerne, die ihre Macht nutzen und massiven Lobbyismus betreiben, um sowohl einzelne Staaten, als auch die EU-Kommission, zur weiteren Steueroptimierung zu bewegen, und zwar mit Erfolg. Nicht nur dass Donald Trump die Betriebssteuer massiv senkte und einzelne EU-Staaten diesem Beispiel folgen wollen, auch die EU denkt darüber nach, neue europaweit harmonisierte Steuernischen, beispielsweise im Bereich von Forschung & Entwicklung, zu schaffen.

2.4. Zwei gegensätzliche Bewegungen

Abschließend zum Hauptteil meins Referates, möchte ich festhalten, dass man derzeit in Europa, aber auch darüber hinaus, zwei gegensätzliche Bewegungen in Sachen Steuern und Steuergerechtigkeit feststellen kann.

a) Einerseits gibt es deutliche Bestrebungen von der OECD und den G20, dem Europaparlament und der EU-Kommission, von NGOs, aber auch einzelner Staaten, um eine allzu aggressive Steueroptimierung zu unterbinden und Schlupflöcher zu stopfen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die EU-Kommission am 23. April 2018 den Entwurf einer Verordnung zum Schutz von Whistleblowern veröffentlicht hat.

b) Andererseits bleibt Steueroptimierung auf Basis von Steuerkonkurrenz ein Geschäftsmodell sowohl für die EU, als auch für einzelnen Mitgliederstaaten, für die betroffenen Konzerne, ebenso wie für einen ganzen Wirtschaftszweig von Beraterfirmen (v.a. Big Four).

3. Schlussfolgerung

Schlussfolgernd möchte ich festhalten, dass es – wie wir gesehen haben – keine endgültige, eindeutige Definition von Steuergerechtigkeit gibt. Die Definition des Begriffes bleibt evolutiv. Trotzdem gelten die allgemeinen Prinzipien von Adam Smith und der Menschenrechtserklärung nach der französischen Revolution, mit einigen Ergänzungen, auch heute noch.

Nach zahlreichen Skandalen in Bezug auf die tatsächlichen Steuerzahlungen der meisten multinationalen Konzerne und der Steuerflucht zahlreicher Privatpersonen drängt die EU darauf aggressive Steueroptimierung zu unterbinden, lässt aber weiterhin Steuerwettbewerb zwischen den einzelnen Staaten zu und bleibt auch selbst Akteur in diesem Bereich.

Auch 250 Jahre nach Adam Smith und der Französischen Revolution, sind wir heute, in Zeiten von Protektionismus und verschärfter Konkurrenz, weltweit und auch in Europa, noch weit von Steuergerechtigkeit entfernt.

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